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Biografien sind interessant. Zumindest manchmal. Ich habe das Glück, viele Biografien schreiben zu dürfen. Dabei interessieren sie mich, die Menschen, die über ihr Leben erzählen. Ich könnte ihnen stundenlang zuhören, sauge deren Erlebnisse auf und versuche anschließend, diese möglichst unterhaltsam und lebensnah zu Papier zu bringen. Die meisten Verschriftlichungen eines Lebens haben es verdient, mit viel Enthusiasmus und Fingerspitzengefühl angegangen zu werden. Kurzum: Im Normalfall begeistert mich diese Arbeit.

Was aber bringt Menschen dazu, vor anderen ihr Leben auszubreiten und sich somit auch angreifbar zu machen? Nun, dafür gibt es verschiedene Gründe: Bei dem einen beruht der Wunsch darauf, eine Biografie zu veröffentlichen, auf dem Drang, sich selbst ein Denkmal zu setzen. Diese Spezies hat durchaus seine Berechtigung, ist aber gar nicht so oft in freier Wildbahn anzutreffen, wie man das vielleicht denkt. Stattdessen kommen immer häufiger Familienmitglieder oder Bekannte auf mich zu, die eine Biografie für jemand anderen in Auftrag geben. Und hier zeigen sich die interessantesten Lebensgeschichten. Wirklich, ein ums andere mal darf ich in Buchform bringen, was beeindruckende Menschen über ihr Leben zu berichten haben. Und, zugegeben, das ändert auch meine Ansicht zu gewissen Dingen.

Relation behalten

Zufälligerweise handelte es sich bei meinen letzten drei Auftraggebern (die Namen werden hier natürlich nicht genannt) um ausgesprochen interessante Persönlichkeiten, die in der Zeit des Zweiten Weltkriegs geboren wurden. Sie haben als Kind Dinge erlebt, die man sich heutzutage nicht vorstellen will. Auch die Zeit des Hungerns und des mühsamen Wiederaufbaus nach Kriegsende ist ihnen noch ausgesprochen gegenwärtig. Wenn sie mir gegenübersitzen und erzählen, fällt auf, dass sich niemand von ihnen beklagt. Für uns heutzutage kaum vorstellbare Entbehrungen werden auch in der Erinnerung als vorübergehend gegeben hingenommen.

Schaue ich um mich herum und lasse meine Radar-Ohren ein wenig kreisen, erlebe ich heutzutage oft das Gegenteil. Da wird geklagt und gejammert, gerade jetzt, wo Corona uns für eine überschaubare Zeitspanne einige Einschränkungen zumutet, damit das Leben anderer (vor allem älterer) Menschen geschützt wird. Da werden wilde Theorien gesponnen, wie der Staat oder Bill Gates oder wer auch immer unser Leben kontrollieren will, weil einige durchaus hinnehmbare Beschränkungen beschlossen wurden. Ist unsere Luxusgesellschaft denn wirklich schon derart abgestumpft, dass wir nicht einmal für die Gesundheit anderer kleine Einschränkungen hinzunehmen bereit sind , ohne selbst darin ein weltweites Komplott erkennen zu wollen? Ist unsere private Komfortzone denn so außerordentlich wichtig, dass man sie nicht einmal einige Wochen zum Wohle anderer verlassen kann?

Wer nicht die Schuld bei den anderen sucht, hat auch etwas zu erzählen 

Diese Menschen, deren Biografien ich schreibe, haben mir gezeigt, dass man manchmal die Zähne zusammenbeißen muss, wenn es besser werden soll. Hätten Sie nur gejammert und um ihr kleines bisschen Wohlstandsleben gefürchtet, wären sie nicht dahin gekommen, dass andere heute etwas über deren Leben lesen wollen. Sie wären in der grauen Masse jammernder „Stay Home“-Verweigerer untergangen und würden noch heute nach den Schuldigen ihrer persönlichen Miseren suchen. Dass so etwas später keiner hören oder in einer Biografie lesen will, ist verständlich.

Dies ist keine politische Webseite, im Gegenteil, ich will hier auf all das hinweisen, was Texteinsatz im Bereich der Literatur und der Texterstellung bieten kann (und klar, auch den einen oder anderen Auftrag damit an Land ziehen). Aber ich will auch Stellung beziehen und hiermit mein großes Indianerehrenwort geben, dass ich nie eine Biografie von jemandem schreiben werde, der sich lediglich dadurch auszeichnet, dass er ausschließlich durch die Sorge um das eigene Wohl existiert. Das ist mir zu banal, zu langweilig und zu Substanzlos. Deshalb bin ich froh über die phantastischen Menschen, die mich mit der Niederschrift ihres Lebens beauftragen. Unter denen war bisher noch keiner, der nicht bereit gewesen wäre, zum Wohle anderer auch einmal die eigenen Belange eine Zeitlang zurückzustecken. Möge es so bleiben!

Ach ja, der Gates-Billy war diesmal wirklich nicht Schuld an der ganzen Misere. Wer kam eigentlich als Erster auf diese seltsame Idee?